Reichskanzler nach Bismarck
(Johannes Dominikus Müller, Konrad Burckhardt)
Die letzten Jahre der
Kanzlerschaft Bismarcks waren durch die Transformation des Reiches zur modernen
Industriegesellschaft geprägt. Der Gestaltungsanspruch des Staates wuchs und führte zu steigenden Aufgaben des Staates. Die Fähigkeiten der Problembewältigung
(Institutionen, Gesetze) konnten der Entwicklung jedoch nicht so schnell
folgen. Gesellschaftliche Konflikte waren die Folge.
Der Bismarck ins Amt folgende Reichskanzler Leo von Caprivi (parteilos)
versuchte diesem Ungleichgewicht mit einem
Neuen Kurs zu begegnen. Der Staat sollte sich aus gesellschaftlichen Konfliktfeldern heraushalten und Neutralität wahren. Moderate Reformen (Arbeitsschutz)
und das Nichtverlängern des
Sozialistengesetzes sollten diesen Weg untermauern. Mit Neuansätzen im Außenhandel wollte Caprivi den Anforderungen einer modernen
Industriegesellschaft begegnen. Anfangs genoss er dafür die Unterstützung des
Kaisers.
Caprivi geriet schnell in Konflikt mit einem größeren Teil der
Konservativen. Die Lockerung der Zollpolitik im Außenhandel führte zu Konflikten mit den Interessen der Landwirtschaft und damit vor allem mit
dem deutschen Adel. Auch im Reichstag kam eine engere Einbindung von Liberalen
und Sozialdemokraten als Gegengewicht zu den konservativen Parteien nicht in
Frage. Am Ende stand die Entlassung Caprivis
durch den Kaiser.
Auch Chlodwig Hohenlohe zu Schillingsfürst (parteilos) konnte als neuer
Reichskanzler die Transformation des Deutschen Reiches von einem Agrarstaat in
zu einem modernen Industriestaat wenig gestalten. Er vermied jegliche
Konflikte und konnte somit die vielen unterschiedlichen Interessen nicht einen.
Eine Neuorientierung der
deutschen Politik gelang erst unter Bernhard
von Bülow (parteilos). Durch enge
Kontakte zu Kaiser und Parlament hatte er die Möglichkeit, im Zentrum der
Regierung die Fäden straff in der Hand zu halten. Kompromisse in der Zollpolitik,
sowie eine Neuorientierung der Flottenpolitik
ließen neue Zielrichtungen zu. Gerade die Umgestaltung und Aufrüstung der
deutschen Kriegsmarine als Ausdruck des deutschen
Strebens nach Weltmacht geriet für viele
deutsche Interessengruppen zum Symbol- und Prestigeprojekt (Industrie,
Adel, Bürgertum). Dennoch gelang es von Bülow
nicht, drängende soziale Reformen voranzutreiben und die Gräben zwischen
Protestanten und Katholiken (èKulturkampf)
zu schließen. Auch die außenpolitischen
Misserfolge zerrütteten das Verhältnis zwischen dem
Persönlichen Regiment des Kaiser und seinem Kanzler.
Der folgende Reichskanzler Theodor von Bethmann Hollweg hatte mit
starken Machtgewinnen der Parteien im Reichstag zu kämpfen. Immer stärker
beeinflussten die Konflikte der Parteien untereinander die Reichspolitik. Ein
Wechsel von halbherzigen Reformen und Blockaden prägte die Politik vor dem
ersten Weltkrieg. Die fehlende Verwirklichung sozialen Reformen verschärfte die
Konflikte innerhalb der Gesellschaft. Die stetig verstärkte Rüstungspolitik
provozierte außenpolitische Konflikte und verführte schließlich dazu, auch
einen Krieg als Ausweg aus der inneren Krise zu sehen.
Literatur:
Ullmann, Hans-Peter: Politik im
Deutschen Kaiserreich 1871-1918. München, 1999.
Kocka, Jürgen: Das lange 19.
Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft. Stuttgart, 2001.
Berghahn,
Volker: Das Kaiserreich 1871-1914. Industriegesellschaft, bürgerliche Kultur
und autoritärer Staat. Stuttgart, 2003.
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